Markus Bernath, 1.10.2008
Überleben mit "Opinion No. 193" - Der Europarat laviert nach dem Krieg seiner zwei Mitgliedsstaaten durch die politische Post-Konflikt-Krise - Ein Antrag auf Stimmenzug Russlands ist durchgefallen
Wien/Straßburg - Meinungen kann man viele haben, und eine „Meinung", die wie die „Opinion No. 193" einmal in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats abgenickt wurde, muss deshalb auch nicht gleich alle kümmern. Damals, im Jänner 1996, ging es um Russlands Antrag auf Mitgliedschaft im Europarat. Der erste Tschetschenienkrieg sollte sich noch ein halbes Jahr hinziehen, und die Versammlung in Straßburg formulierte ein Dutzend Bemerkungen und Forderungen an Moskau und doppelt so viele Unterpunkte, um auch ganz sicher zu gehen, dass sich die Russische Föderation an den Geist der Europaratsgründer von 1949 hält. Geklappt hat es nicht, wie die Parlamentarier bei ihrer Herbsttagung diese Woche in Straßburg feststellten.
Erstmals in der Geschichte des Europarats haben in diesem Sommer zwei Mitgliedsstaaten gegeneinander Krieg geführt, obwohl sich doch alle 47 Staaten zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten verpflichtet haben. Russlands Invasion von Georgien verträgt sich zudem nicht mit dem Punkt 10, der „Opinion No. 193". Dort steht treuherzig: „Die Parlamentarische Versammlung stellt fest, dass die Russische Föderation ... beabsichtigt, das Konzept von zwei verschiedenen Kategorien ausländischer Staaten, bei denen einige als Einflusszone unter dem Namen „nahes Ausland" behandelt werden, als falsch zurückzuweisen."
Grund genug, um Russland mit Sanktionen zu belegen, meint der langjährige Schweizer Europaratsabgeordnete Andreas Gross, aber auch Georgien, weil es wohl den unmittelbaren Ausbruch des Kriegs am 7. August verschuldete. 24 Parlamentarier hatten sich deshalb Mitte September zusammengetan und einen Antrag auf Stimmentzug der russischen Delegation im Europarat eingebracht. Es wäre das zweite Mal nach dem Jahr 2000 gewesen, als Russland in Straßburg wegen des zweiten Tschetschenienkriegs bestraft worden war. Am Mittwochabend fiel der Antrag durch. Gross selbst hatte in einer Stellungnahme empfohlen, besser gemeinsam nach den Ursachen des Kriegs zu suchen und neue Konflikte zu verhindern, statt schnell zu sanktionieren. Diese Linie gab auch der Generalsekretär des Europarats, der Brite Terry Davis, aus.
Der Europarat, abgesehen von seiner Kompetenz in juristischen Fragen schwer in Existenznot angesichts der politisch viel mächtigeren EU, will nun ermitteln, wer in welchem Maß für den Krieg im Kaukasus und die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. Der Europarat will auch genauer beobachten, ob Russland und Georgien ihre Verpflichtungen als Mitgliedsstaaten einhalten. Darauf verständigten sich bereits die Außenminister der Europaratsstaaten bei einen Treffen am 24. September am Rand der UNO-Vollversammlung in New York. Im Fall Russlands geht es dabei um den Abzug der Armee aus Georgien und um die Unterstützung bei der Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Südossetien und Abchasien; die georgische Führung wiederum steht nach ihren Versprechen weiterer demokratischer Reformen unter Beobachtung. Georgiens Staatspräsident Michail Saakaschwili hat eine „zweite Rosen-Revolution" angekündigt, Georgiens Ombudsmann Sozar Subari prangerte dagegen erst in diesen Tagen wieder die autoritären Tendenzen in seinem Land an.
Die Berichterstatter im Parlament des Europarats über den Kaukasus-Krieg gehen von etwa 300 Toten auf „russischer Seite" und 364 Toten auf georgischer Seite aus - weit weniger als die „mehr als 2000 Toten", die Moskau am ersten Tag nach dem Angriff Georgiens auf Zchinwali meldete. 192.000 Menschen hatten nach Angaben der Berichterstatter ihr Zuhause verloren, möglicherweise 25.000 Georgier aus Südossetien und 6000 Georgier aus dem vormals von Tiflis kontrollierten Teil Abchasiens können „dauerhaft" nicht mehr zurück in ihre Dörfer. Russland gehört seit 1996, Georgien seit 1999 dem Europarat an. Die russische Delegation zählt 18 Parlamentarier, die georgische fünf.

 
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